In Sachen der späten Werke Anton Weberns plädiert das Gros der Pianisten für den kleinen und knappen Stich mit isoliert aufgesteckten Ton-Nadeln. Ernst Breidenbach ist da anscheinend anderer Meinung und hat in seiner Einspielung paradigmatischer Werke der Moderne beim Webernschen Klangsparkurs die verbindenden Elemente, das variative und beziehungsreiche Muster herausgestellt: Webern muss man weben. Das hat der Strenge und Reduziertheit dieser Formenwelt überhaupt keinen Abbruch getan, aber die Dimensionalität der Musik enorm erhöht.
Auch Alban Bergs Sonate op.1, die 1907/08 entstand, profitiert von dem Interpretationsansatz des knapp 50-Jährigen, der als Ehemaliger der Darmstädter Akademie für Tonkunst heute dort eine Klavierklasse leitet.
Bergs noch im Rahmen der Sonatenhauptsatzform angesetztes Erstlingswerk quillt doch schon beachtlich über den Rand des klassischen Maßes hinaus und wuchert bei Breidenbach auf schön lianenhafte Weise in die akademisch ausgejäteten Formrabatten.
Eine echte Rarität und für die Achse der Neuen Musik zwischen Darmstadt und Frankfurt besonders bedeutsam ist die Suite Reinhold Finkbeiners, des einstigen enfant terrible der Kirchenmusik an Frankfurts Peterskirche. Seine ersten Uraufführungen hatte der 1929 geborene Kantor bei den Darmstädter Ferienkursen mit so namhaften Interpreten wie dem Parrenin-Quartett und Hermann Scherchen.
Hier, in dem 1954 entstandenen viersätzigen Werk, ist der spätere Orgel-Exot noch fügsamer Punktualismus-Jünger, wenngleich ein rabiat-ruppiges Moment schon unüberhörbar ist.
Die Zweite Sonate (1936) Paul Hindemiths und die Sonate (1924) Igor Strawinskys vervollständigen die exzellente Veröffentlichung.
Der Pianist hält die Waage zischen resignativer Abgeklärtheit und leidenschaftlichem Ausbruch; unpathetisches, farbiges Spiel und souveräne Technik zeichnen den Dreieicher Kulturpreisträger von 1980 aus...
...in der nicht nur die perfekte Beherrschung der enormen technischen Herausforderungen, sondern auch die bis ins Detail ausgefeilte Vortragsweise fasziniert. ... Hier (Berg Sonate) offenbart sich Breidenbachs weite Ausdruckspalette aufs eindrucksvollste, in der leidenschaftliches Begehren und sublimierte Klage keine unvereinbaren Kontraste von Leiderfahrung darstellen.
... hat ein Gespür für unerhörte Klänge, er geht dem Neuen mit sensiblem Anschlag und scharfem Blick für strukturelle Zusammenhänge nach. ...
... seine CD liefert charakteristische Perspektiven auf Sonate, Variationen und Suite im 20. Jahrhundert, wirkt erhellend, klingt erfrischend. ... Breidenbach liefert ein kleines Vademecum neuerer Klaviermusik, spielt akkurat und mit Schwung, unbekümmert im guten Sinne - kein spektakuläres Interpretenmonument, sondern eine animierende Platte.
Bemerkenswert die kultiviert und valeurreich angelegte 2. Hindemith-Sonate. Neben Webern und Strawinsky besonders fesselnd: ein Frühwerk von Reinhold Finkbeiner, die viertelstündige Suite , fulminant und eigensprachlich stark in ihren zackigen, brüchigen Synthesen heterogener Einflüsse (Hindemith, Zweite Wiener Schule). Schön übrigens, wie ein Interpret seinem Programm "Farbe" verleiht durch den Einbezug eines ihm persönlich nahestehenden Ungeläufigen, dessen Stück neben "Klassikern" der neuen Klaviermusik unschwer bestehen kann.
SIG X99-00.